CAS Philosophie (BS): Was ist Psychotherapie? Philosophische Aspekte psycho-therapeutischen Handelns (FS 2024, Blockveranstaltung)

Sprechen wir heute von Psychotherapie so meinen wir damit ein Verfahren, das auf die Behandlung von psychischen Störungen oder psychosomatischen Krankheitsbildern abzielt. Das im 18. Jahrhundert eingeführte Kunstwort verbindet das altgriechische ψυχή (psyche: „Atem, Hauch, Seele“) mit θεραπεία (therapeia: „Dienst, Pflege, Heilung, Behandlung“) und versammelte zunächst eine ziemlich heterogene Palette von Behandlungsverfahren – darunter auch Mesmerismus, Hypnotismus und Heilmagnetismus –, die sich dann Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts zu im engeren Sinne psycho-therapeutischen Behandlungsweisen ausdifferenzierte. In Folge dieser historischen Entwicklung des Begriffs verstehen wir heute unter Psychotherapie meist eine Behandlung mit „psychologischen Mitteln“ der Beeinflussung. Dieses aktuelle Verständnis umfasst des Weiteren die Festlegung eines Behandlungsplans, die Festlegung von Zielen (z.B. Symptomminderung, Persönlichkeitsänderung, Selbsterkenntnis) und Mitteln (verbale oder non-verbale Kommunikation) sowie im Hintergrund eine definierte Theorie zur Begründung des Behandlungsplans. Unterscheiden sich die gegenwärtigen psychotherapeutischen Richtungen erheblich in der inhaltlichen Ausprägung dieser Elemente, so lassen sie sich doch alle in dieses Schema einfügen. Und doch suggeriert diese Definition mehr vermeintliche Klarheit, als es sie wohl gibt: Solch deutliche Definitionsversuche von „Psychotherapie“ scheinen ein deutschsprachiges Charakteristikum zu sein. Im internationalen Vergleich allerdings werden weniger scharfe Grenzen im Bereich der auf die individuelle Psychologie bezogenen Hilfsangebote gezogen (vgl. „Coaching“, „Therapie“, „Beratung“, „Psychologische Beratung“, „Counseling“, …).
Lösen wir zudem den Blick von der neueren Geschichte des Begriffs und seiner Disziplin so ergibt sich nochmals ein etwas anderes Bild. Denn von der Sache her gibt es Psychotherapie bereits in der antiken Philosophie. Sokrates‘ Sorge um die Seele ist in seinen Dialogen allgegenwärtig, so auch im Phaidon, wo er dem Kriton entgegenhält: „Denn wisse nur […], sich unrichtig auszudrücken, ist nicht nur für den betreffenden Fall selbst fehlerhaft, sondern es bewirkt auch in der Seele einen schlechten Eindruck.“ (Phaidon 115e) Das theoretische Bemühen um den konsistenten Wortgebrauch ist hier kein Selbstzweck; es steht in Verbindung mit einem übergeordneten Ziel: der Pflege der Seele. Und Platon ist hier kein Einzelfall. Auch andere antike Schulen wie die Stoiker oder die Epikureer verstehen das Philosophieren nicht primär als eine Angelegenheit des Wissens, sondern als eine transformative geistige Übung (gr. askesis, lat. exercitium), welche die gesamte Persönlichkeit umfasst. So heisst es etwa bei Epikur beispielhaft: „Leer ist die Rede jenes Philosophen, die nicht irgendeine Leidenschaft des Menschen heilt. Wie nämlich eine Medizin nichts nützt, die nicht die Krankheiten aus dem Körper vertreibt, so nützt auch eine Philosophie nichts, die nicht die Leidenschaften aus der Seele vertreibt.“ (Porphyrius, ad Marcellam §31)
Und so wurzelt also das, was wir heute „Psychotherapie“ nennen, wenig überraschend in der Philosophie. (Bereits Freud hat hier wichtige Fingerzeige vor allem auf die Bedeutung von Platons Staat gegeben.). Es ist nun das Verdienst des Philosophen Pierre Hadot, diesen Aspekt der antiken Philosophie als Lebensform ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt zu haben. Mit den antiken Exerzitien der Weisheit, gewinnt auch deren moderne Tradition schärfer an Kontur. Durch die Vermittlerfigur des Sokrates werden auch Nietzsche, Schopenhauer und Kierkegaard als Philosophen der (therapeutischen) Selbsttransformation sichtbar und mit ihnen ihre existentialistischen Erben des 20. Jahrhunderts. Nicht zu vergessen ist dabei auch Wittgenstein, der einen therapeutischen Ansatz in der Philosophie etablierte, indem er Philosophie als eine Befreiung von Denkzwängen und Sprachgewohnheiten praktizierte.
Es gibt also eine lange Tradition psychotherapeutischer Reflexion, die weit über die Entstehung von psychotherapeutischen Behandlungspraktiken im 20. Jahrhundert hinausgeht. Diese verschiedenen Traditionen haben sich gegenseitig beeinflusst und inspiriert, aber auch provoziert. Wir wollen diesen Spuren nachgehen und „Psychotherapie“ grundsätzlich als theoretisches Konzept und praktisches Verfahren reflektieren. Wie lässt sich „Psychotherapie“ also wohlbegründet bestimmen? Wie verhalten sich die verschiedenen Psychotherapieformen (z.B. die in Deutschland als Richtlinienverfahren anerkannten Verfahren der Verhaltenstherapie, Psychoanalyse/Tiefenpsychologie und Systemische Therapie) zueinander? Und welche hat – provokant gesagt – „Recht“ bzw. das (weniger) schlüssigere Konzept und wieso (nicht)? Inwiefern beeinflussen verschiedene Menschenbilder die Konzeptualisierung von Psychotherapie? Wie viel Philosophie steckt in der Psychotherapie? Und wie viel Psychotherapie steckt in der Philosophie?
An drei Tagen gehen wir diesen und anderen Fragen nach. Am 15. März verfolgen wir die Spuren zurück in die antike Philosophie und wagen den Übertritt zur modernen Philosophie. Diese Wege verfolgen wir weiter am 27. April, wo wir die moderne Philosophie mit theoretischen Auseinandersetzungen verschiedener Psychotherapieansätze ins Gespräch bringen. Am 1. Juni dann setzen wir uns mit den aktuellen Konzepten von Psychotherapie aus der Disziplin der Psychologie auseinander und befragen diese kritisch vor dem Hintergrund des entstandenen philosophischen Horizontes.
Daten der drei Blöcke:
Kickoff-Veranstaltung: Fr 15.3.2024, 18-20 Uhr
1. Block, Samstag, 27.4.2024, 9-17 Uhr
2. Block, Samstag, 1.6.2024, 9-17 Uhr
Anmeldung: Bitte melden Sie sich über die rote Schaltfläche „Anmelden“ oben rechts auf dieser Seite an. Nach erfolgter Anmeldung erhalten Sie eine Bestätigungs- und anschliessend eine Verifikationsmail. Bitte klicken Sie auf den Link in der Verifikations-Mail. Erst dann ist der Anmeldevorgang abgeschlossen. Anmeldeschluss ist der 8. März 2024.
Kosten: CHF 900 (CHF 800 für Mitglieder von Entresol)
Dozenten: Dr. phil. Andreas Cremonini, Philosoph, freier Wissenschaftler und Publizist, Basel / Dr. phil. Alexander Fischer, Philosoph, Therapeut, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und dem Institut Mensch & Ästhetik der Universität Bamberg [Link]
Teilnahmeform: Das Seminar ist als Präsenz-Veranstaltung konzipiert. Es besteht jedoch die Mögllichkeit, an einzelnen Sitzungen per Streaming (via Zoom) teilzunehmen. Die Interaktionsmöglichkeiten sind dann aber sehr eingeschränkt.
Zielpublikum: Der Studiengang richtet sich an Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen sowie an Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.
Abschluss: Der Studiengang kann nach Besuch des Grundkurses, von vier Seminaren und einer schriftlichen Arbeit mit einem Zertifikat der Universität Zürich abgeschlossen werden: Certificate of Advanced Studies UZH in Philosophie für Fachleute aus Medizin und Psychotherapie (15 ECTS Credits).
Flyer: CAS Philosophie (BS) Was ist Psychotherapie? Blockveranstaltung FS 2024

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Datum

15 Mrz 2024 - 01 Jun 2024
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Ort

Kollegiengebäude der Universität Basel
Petersplatz 1, Postfach 4001 Basel
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