CAS Philosophie (BS): Dimensionen menschlicher Vulnerabilität (WS 2023-24)

„Fallen heisst lernen“ lese ich auf einem Werbeplakat im Schaufenster meiner Apotheke. Im Vordergrund der Fotografie sehen wir einen Jungen, der sich das Knie hält, im Hintergrund etwas verschwommen ein liegendes Fahrrad. Es braucht nicht viel, um die Szene aufzurufen: Wir alle haben sie wohl auf die eine oder andere Weise schon erfahren. Aber was lernen wir eigentlich, wenn wir uns beim Sturz mit dem Fahrrad das Knie aufreissen? Wir lernen, dass gewisse Aktivitäten gefährlich sind (z.B. freihändig fahren), in einem weiteren Sinne aber auch, dass wir verletzlich, dass wir ein verletzlicher Körper sind. Der Mensch ist, so hat es der Soziologie Heinrich Popitz einmal formuliert, ein „verletzungsoffenes“ Wesen.
Dieses Wissen ist alles andere als neu. Wir finden es seit der Antike (Antigones Chorlied vom Menschen), aber auch in zahlreichen medizinischen Handschriften des Mittelalters bildlich dargestellt. Der sog. Wunden-Mann (Anatomia des Pseudo-Galens 1491, Wellcome Library London, Abb. s. oben) verweist mit drastischer Deutlichkeit auf die Verletzbarkeit des Menschen durch den anderen Menschen. Diese Dimension der Verletzbarkeit, die den Begriff mit Gewalt und Macht verbindet (und sich etwa in der menschlichen Obsession mit Hinrichtungsweisen manifestiert) fügt der körperlichen eine ökonomische, eine soziale und politische Komponente hinzu. Die Verletzbarkeit des Menschen geht weit über seine körperliche Verletzung hinaus, sie umfasst verschiedene miteinander verflochtene Dimensionen.
Die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts und die multiplen Krisen des anbrechenden 21. Jahrhunderts haben dem Konzept menschlicher Vulnerabilität weitere semantische Facetten hinzugefügt und zugleich eine neue globale Dringlichkeit verliehen. In den Texten von Emmanuel Levinas, aber auch in den Schriften von Judith Butler erscheint Verletzlichkeit exemplarisch als eine anthropologische Möglichkeit, aber auch als eine Grundlage für eine Ethik der Bezogenheit. In der aktuellen Debatte schillert der Begriff in verschiedenen Facetten. Vulnerabilität ist zugleich mit Gleichheit verbunden, sofern alle Menschen die Disposition verletzbar zu sein, miteinander teilen. Auf der anderen Seite werden Menschen durch bestimmte Verhältnisse und Politiken dieser Verletzbarkeit stärker ausgesetzt als andere und damit der Ungleichheit überantwortet (z.B. in der Rede von den „Vulnerablen“ oder in bestimmten Resilienz-Diskursen).
Wir werden uns mit einigen grundlegenden Texten zur Verletzlichkeit beschäftigen und von da aus die verschiedenen Dimensionen des Begriffs in der Gegenwart erkunden.
Anmeldung: Bitte melden Sie sich über die rote Schaltfläche „Anmelden“ oben rechts auf dieser Seite an. Nach erfolgter Anmeldung erhalten Sie eine Bestätigungs- und anschliessend eine Verifikationsmail. Bitte klicken Sie auf den Link in der Verifikations-Mail. Erst dann ist der Anmeldevorgang abgeschlossen. Anmeldeschluss ist der 18. Oktober 2023.
Kosten: CHF 900 (CHF 800 für Mitglieder von Entresol)
Dozent: Dr. phil. Andreas Cremonini, Philosoph, freier Wissenschaftler und Publizist, Basel
Teilnahmeform: Das Seminar ist als Präsenz-Veranstaltung konzipiert. Es besteht jedoch die Mögllichkeit, an einzelnen Sitzung per Streaming (via Zoom) teilzunehmen. Die Interaktionsmöglichkeiten sind dann aber sehr eingeschränkt.
Zielpublikum: Der Studiengang richtet sich an Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen sowie an nicht-ärztliche Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.
AbschlussDer Studiengang kann nach Besuch des Grundkurses, von vier Seminaren und einer schriftlichen Arbeit mit einem Zertifikat der Universität Zürich abgeschlossen werden: Certificate of Advanced Studies UZH in Philosophie für Fachleute aus Medizin und Psychotherapie (15 ECTS Credits).

 

Datum

25 Okt 2023 - 31 Jan 2024
Expired!

Ort

Kollegiengebäude der Universität Basel
Petersplatz 1, Postfach 4001 Basel

Veranstalter

Dr. phil. Andreas Cremonini
E-Mail
[email protected]